Wie moderner Pflanzenschutz unsere Ernährung sichert
Wie moderner Pflanzenschutz unsere Ernährung sichert
Beste Böden, ein maritimes Klima und lange Frühsommertage lassen in Deutschland Erträge heranwachsen, die so an kaum einem anderen Standort in der Welt erzielt werden können. Auf deutschen Äckern wächst so nicht nur genug Brotweizen für die über 80 Millionen Menschen, die in Deutschland leben. Mit jährlichen Exporten von 6 bis 8 Mio. t sichert die hiesige Produktion die Ernährung von mindestens 60 bis 80 Millionen weiteren Menschen in den klimatisch weniger privilegierten Ländern des Nahen Ostens sowie Nord- und Subsahara Afrikas.
Die moderne Landwirtschaft, die die Versorgung von vielen Menschen auf einer relativ kleinen Fläche ermöglicht, wird allerdings zunehmend abgelehnt. Dabei ist insbesondere der chemische Pflanzenschutz (im Folgenden Pflanzenschutz) in der Kritik. Es wird argumentiert,
- Pflanzenschutzmittelrückstände in Nahrungs- und Futtermitteln würden zu gesundheitlichen Risiken führen,
- die Pflanzenschutzmittelproduktion sei energieintensiv und führe daher zu einer schlechteren Treibhausgasbilanz,
- Pflanzenschutz führe zu einer Reduktion der Artenvielfalt.
Aber würde der Verzicht auf Pflanzenschutz unsere Nahrungsmittel wirklich sicherer machen und für eine klimafreundlichere und artenschonendere Landwirtschaft sorgen?
Pflanzenschutz und Nahrungsmittelsicherheit
Moderne Pflanzenschutzmittel enthalten, ebenso wie Arzneimittel, chemische Substanzen, die in der Natur und Umwelt in der Regel nicht vorkommen. Anders als bei Arzneimitteln, schließen viele Menschen bei Pflanzenschutzmitteln aus diesem Fakt, dass diese gesundheitsgefährdend seien. Für ca. 96 % der heute in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe trifft diese Einschätzung jedoch nicht zu. Sie sind keiner Giftklasse zugeordnet, d.h. sie sind weniger giftig als Kochsalz1.
Bevor ein Pflanzenschutzmittel zugelassen oder dessen Zulassung verlängert wird, bewerten in Deutschland vier unabhängige Behörden die Substanzen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung beurteilt mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier. Das Umweltbundesamt prüft die Auswirkungen auf den Naturhaushalt sowie das Verhalten in der Umwelt. Das Julius Kühn-Institut bewertet Wirksamkeit, Pflanzenverträglichkeit und Nutzen. Zulassungsstelle in Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Viele Menschen sind verunsichert, weil Spuren von Pflanzenschutzmitteln in der Umwelt, der Nahrung oder in unseren Ausscheidungen gefunden werden. Diese Nachweise sind jedoch nicht überraschend, da sich mit den heutigen Methoden einzelne Moleküle bestimmen lassen. Die äußerst geringen Nachweisgrenzen im Nanogramm-Bereich entsprechen einem Stück Würfelzucker im Bodensee. Für unsere Lebensmittel werden gesetzliche Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel-Rückstände festgelegt. Dabei wird auf die Rückstandsmenge, die ohne erkennbare schädliche Wirkung ein Leben lang täglich aufgenommen werden kann, noch ein Sicherheitsfaktor von mindestens 100 hinzugerechnet. Auf den Autoverkehr übertragen heißt dies, dass bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h statt dem üblichen 60 m Sicherheitsabstand zum Vordermann ein Abstand von 6000 m eingehalten werden müsste. Somit sind in der Regel auch die im Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung festgestellten 1,3 % Grenzwertüberschreitungen2 unproblematisch. In der westlichen Welt ist in den letzten 20 Jahren kein einziger belegter Fall einer Gesundheitsbeeinträchtigung durch Pflanzenschutzmittelrückstände bei Verzehr von Nahrungsmitteln aus dem konventionellen Anbau bekannt3.
Aus toxikologischer Sicht sind allerdings die in unseren Lebensmitteln natürlicherweise vorkommenden Mykotoxine (Pilzgifte) als viel gefährlicher einzuordnen.4 Das gilt sowohl hinsichtlich der akuten als auch der chronischen Giftigkeit. So befallen Fusariumpilze verschiedene Getreidearten in der Blüte bei zu nassen Witterungsbedingungen. Sie bilden Pilzgifte, welche zu erheblichen Organschäden, Krebs und hormonellen Veränderungen führen können. Solche Gesundheitsschäden werden jedes Jahr weltweit, besonders in den weniger entwickelten Ländern in erheblichem Umfang dokumentiert. Als wirksamste Methode zur Vermeidung des Befalls von Getreide mit Fusarienpilzen hat sich gerade der Einsatz von Fungiziden erwiesen. Diese können den Fusariumbefall so einschränken, dass die Belastung mit Pilzgiften um eine 10er-Potenz reduziert wird.
Chemischer Pflanzenschutz macht unsere Nahrungsmittel also sicherer und ist wie die moderne Humanmedizin zu bewerten. Mit beiden werden Krankheiten und deren Folgewirkungen bekämpft.
Ernährungssicherung
Die hohen Erträge, die in Deutschland bei konventionell erzeugtem Getreide erzielt werden, sind ohne Pflanzenschutz nicht möglich. Das Julius Kühn-Institut geht auf Basis von Dauerversuchen davon aus, dass eine Reduzierung des Pflanzenschutzes um mehr als 25 Prozent das Risiko von Ertragsverlusten entscheidend erhöht. Ein genereller Verzicht auf Pflanzenschutzmittel verursacht bei Getreide je nach Standort, Bodenbearbeitung, Getreideart und -sorte Ertragsverluste von 20 bis 75 %.5
Ertragsverluste dieser Größenordnung hätten entscheidende negative Auswirkungen auf die Ernährung der Welt. Weizen gehört zu den drei wichtigsten Grundnahrungsmitteln. Weltweit sind je nach Jahr 170 bis 180 Länder auf Weizen-Importe angewiesen. Diesen stehen lediglich etwa 12 Länder gegenüber, die nennenswerte Mengen an Weizen ausführen können. Die EU ist mit ca. 30 Mio. t pro Jahr der mit Abstand wichtigste Exporteur. Hinzu kommt, dass die EU und vor allem Deutschland einer der stabilsten Ausfuhrregionen ist. Die EU liefert auch dann, wenn die Exporte in Russland, Argentinien oder Australien aufgrund von Trockenheit ausfallen.
Sich für eine Extensivierung in Deutschland und der EU einzusetzen, mutet vor diesem Hintergrund fahrlässig an. Wer erklärt den Menschen in den Importländern, dass wir ihre Ernährung aufgrund einer Extensivierungsstrategie künftig nicht mehr sichern können?
Klimaschutz
Die Produktion chemischer Pflanzenschutzmittel kann energieintensiv sein. Hinzu kommen die Kohlendioxid-Emissionen durch den Verbrauch von Diesel bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln. Die Bodenbearbeitung und Ernte erfordern allerdings ein Mehrfaches der Energie, so dass sich der Ausstoß klimarelevanter Gase bei Verzicht auf Pflanzenschutzmittel durch erhöhten Dieselverbrauch eher erhöht. Durch Pflanzenschutz gesund erhaltene Getreidebestände haben eine um mehr als 20% bessere Energiebilanz und
verbrauchen bis zu einem Drittel weniger Wasser und Stickstoff je Kilogramm Kornertrag. Durch Pflanzenschutz ergeben sich daher viele positive Effekte für den Klimaschutz. Diesen Zusammenhang hat der Wissenschaftliche Beirat in seinem jüngsten Klimaschutz-Gutachten6 bestätigt: „Unter den günstigen klimatischen Produktionsbedingungen in Deutschland und bei gleichzeitig weltweit absehbar knapper werdenden landwirtschaftlichen Flächen ist eine flächendeckende Verringerung der Produktionsintensität nicht zu empfehlen“. Zudem sieht der Wissenschaftliche Beirat auf Basis der derzeit verfügbaren Analysen in der Ausdehnung des ökologischen Landbaus keinen eindeutigen Beitrag zum Klimaschutz.
Artenvielfalt
Die landwirtschaftliche Nutzung einer Fläche, sei es konventionell oder biologisch, geht immer mit einem Verlust der Artenvielfalt auf diesem Areal einher. Gerade deswegen propagieren manche Biodiversitätsforscher statt einer Extensivierung der Landwirtschaft eine weitere Steigerung der Erträge. Sie sehen darin die Möglichkeit, die Biodiversität positiv zu beeinflussen: wenn mehr auf der gleichen Fläche produziert wird, muss man weniger Land unter den Pflug nehmen und kann mehr naturnahe Lebensräume erhalten.7 Eine kürzlich erschienene Studie hat errechnet, dass die produktionsbezogene Verminderung der Artenvielfalt gegenüber einer Naturfläche bei intensiver Produktion um ein Drittel niedriger liegt als im Ökolandbau. Dies liegt an der nur etwa halb so großen Flächenproduktivität des Ökoanbaus (Getreide).8 Derzeit werden etwa 11% der Landoberfläche der Erde landwirtschaftlich genutzt. Obwohl die genutzte Fläche in den letzten 50 Jahren zugenommen hat, ist sie dennoch begrenzt. Bei produktiver Nutzung würde sie zwar ausreichen, um die Menschheit zu ernähren, gegenwärtig gelten aber immer noch 850 Mio. Menschen als unzureichend mit Nahrungsmitteln versorgt. Die Vereinten Nationen sagen bis 2050 ein Bevölkerungswachstum auf etwa 9 Milliarden Menschen vorher. Wenn wir mit dem bisherigen Ertrag pro Fläche weitermachen, würde die Zahl der Hungernden wieder deutlich ansteigen.
Also weiter wie bisher?
Es ist unser aller Ziel, die negativen Auswirkungen der Nahrungsmittelproduktion auf die Umwelt soweit wie möglich zu minimieren. So paradox das klingt, erreichen wir dies unter anderem durch intensive Landwirtschaft. Diese gewährleistet, dass der Flächenverbrauch für die Nahrungsmittelproduktion möglichst klein bleibt. In der Pflanzenzüchtung liegt ein sehr großes Potenzial, Pflanzen resistenter gegen Krankheiten zu machen und somit Pflanzenschutzmittel einzusparen, oder aber die Erträge weiter zu steigern und damit Flächen für den Naturschutz zur Verfügung zu stellen. All das wird unter kluger Intensivierung (Smart Intensification) verstanden. Doch werden wir auch in Zukunft nicht auf den chemischen Pflanzenschutz verzichten können um ausreichend gesunde Nahrungsmittel auf unseren Äckern produzieren zu können.
Vor diesem Hintergrund ruft der Agrarhandel dazu auf:
- …im Interesse eines Verbraucher- und Umweltschutzes, der die Bereitstellung qualitativ hochwertiger heimischer Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen nicht gefährdet, einen konstruktiven, konsensorientierten Dialog der unterschiedlichen Interessengruppen zu führen und auf populistische Angriffe auf die Branche die uns tagtäglich mit sicheren Lebensmittel versorgt zu verzichten;
- …dass alle Diskussionen und Entscheidungen zum Pflanzenschutz ausschließlich auf Basis wissenschaftlicher Fakten erfolgen und sich alle Beteiligten zu den gültigen wissenschaftlichen Prüfungsverfahren im Rahmen der Pflanzenschutzmittelzulassung bekennen;
- …eine pauschale Reduzierung der Pflanzenschutzmittelanwendung in Deutschland abzulehnen und bei agrarpolitischen Anpassungen auf nationale Alleingänge zu verzichten, da diese zu Wettbewerbsverzerrungen führen.
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1 von Tiedemann, Prof. Dr. Andreas (2015): Offener Brief an die ARD zur Sendung PlusMinus „Pestizide in unseren Nahrungsmitteln“ vom 14.10.2015, datiert auf den 17. Oktober 2015, am 10.10.2016 im Internet unter: http://www.stallbesuch.de/offener-brief-zu-plusminus/
2 Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (2016): Nationale Berichterstattung „Pflanzenschutzmittelrückstände in Lebensmitteln“ - Zusammenfassung der Ergebnisse des Jahres 2014 aus der Bundesrepublik Deutschland
3 von Tiedemann, Prof. Dr. Andreas (2015): Offener Brief an die ARD zur Sendung PlusMinus „Pestizide in unseren Nahrungsmitteln“ vom 14.10.2015, datiert auf den 17. Oktober 2015, am 10.10.2016 im Internet unter: http://www.stallbesuch.de/offener-brief-zu-plusminus/
4 Dietrichs, Wolfgang; Birr, Tim; Knott, Dr. Jürgen; Klink, Dr. Holger; Verreet; Prof. Dr. Joseph-Alexander (2012): Anbau von Energiepflanzen erfordert neue Konzepte im Pflanzenschutz - Mykotoxinbelastung in Silomais und Getreide nimmt zu; Bauernblatt, 2. Juni 2012, S. 38
5 Schwarz, J.; Pallutt, B.; Gehring, K.; Weinert, J. (2010): Untersuchungen zum notwendigen Maß bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln im Ackerbau – Ergebnisse bundesweiter Dauerfeldversuche; Julius-Kühn-Archiv 428: 57. Deutsche Pflanzenschutztagung in Berlin, 6.-9. September 2010, S. 474
6 Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlicher Verbraucherschutz und Wissenschaftlicher Beirat Waldpolitik beim BMEL (2016): Klimaschutz in der Land- und Forstwirtschaft sowie den nachgelagerten Bereichen Ernährung und Holzverwendung. Gutachten. Berlin
7 Schäfer, Prof. Dr. Hanno (2016): Die am ehesten akzeptable Alternative; In: Zeit online, am 11.10.2016 im Internet unter: http://www.zeit.de/2016/40/gruene-gentechnik-landwirtschaft-ernaehrung
8 Noleppa, S. (2016) Pflanzenschutz in Deutschland und Biodiversität. HFFA Research Paper, 01/2016
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