Zu großer Druck auf Landwirte
Politik muss mit mehr Augenmaß betrieben werden
Die aktuelle Situation des Agrarsektors in Deutschland beschreibt der emeritierte Agrarökonom der Universität Gießen, Prof. Michael Schmitz in einem Positionspapier, erschienen als Sonderbeilage in der Agrar Europe vom 04.01.2021. Er sieht große Teile der deutschen Landwirtschaft in ihrer Existenz bedroht. Dabei brauche die Gesellschaft die Landwirte nicht nur zur Ernährungssicherung, sondern gerade auch für die Belange des Umwelt-, Klima- und Tierschutzes, schreibt Schmitz.
Aus Sicht der Landwirte werde im Namen des Umwelt-, Klima- und Tierschutzes zu viel auf einmal verlangt und es würden zu schnelle Anpassungen erwartet, kritisiert der Experte. Außerdem werde von der Politik oft zu einseitig im nationalen Alleingang gehandelt, wobei „zu marktferne Instrumente“ zum Einsatz kämen. Nach Ansicht des Ökonomen kommt es im Sinn der Nachhaltigkeit maßgeblich darauf an, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft zu erhalten. Dann seien die Landwirte auch in der Lage und bereit dazu, mehr für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz zu tun. Am Willen dazu mangele es den Bauern nicht.
Die Politik für diese Schutzgüter sollte allerdings mit sehr viel mehr Augenmaß betrieben werden; eine Überreaktion dürfe es nicht geben, warnt Schmitz. Auch um die Chancen einer Korrektur wahren zu können, seien allzu drastische Eingriffe und Wendemanöver in der Agrar- und Ernährungspolitik zu vermeiden. Bevorzugt werden sollten weiche, marktnahe Eingriffe sowie ausreichende Übergangsfristen und gegebenenfalls angemessene Kompensationszahlungen. Dies entspreche dem wirtschaftspolitischen Konzept des „Piecemeal Social Engeneering“, wonach eine „Reformpolitik der kleinen lernenden Schritte“ abrupten Änderungen beziehungsweise Revolutionen von sozialen Systemen vorzuziehen sei.
Gegenstand einer sorgfältigen quantitativen Folgenabschätzung im Sinn einer Nutzen-Kosten-Analyse sollten vor diesem Hintergrund alle Standardsetzungen, Verbote und Lenkungsmaßnahmen in der Landwirtschaft sein, heißt es in dem Papier. Dies gelte insbesondere für die Vorschläge der Borchert-Kommission, die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundeslandwirtschaftsministerium zur Politik für eine nachhaltigere Ernährung sowie die geplanten Maßnahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und des Green Deal der EU-Kommission.