Neue Züchtungsmethoden
Agrar- und Ernährungswirtschaft fordert Revision des EuGH-Urteils
Eine Koalition aus Verbänden der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft, darunter auch der BVA, äußerte sich in einem gemeinsamen Anschreiben am 19.03.2019 an die Mitglieder der Agrar- und Umweltausschüsse des Bundestages sowie an die deutschen Abgeordneten der Agrar- und Umweltausschüsse des EU-Parlaments besorgt über das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache C-528/16 zur Einordung von neuen Mutageneseverfahren.
In seinem Urteil hatte das Gericht festgestellt, dass Pflanzen, die mit Hilfe innovativer Methoden der gerichteten Mutagenese gezüchtet wurden, als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) unter die Vorschriften der Freisetzungsrichtlinie 2001/18 fallen. Eine Differenzierung auf Grundlage der Art der konkret erzeugten genetischen Veränderung in einer Pflanze ist nach Auslegung des EuGH in der Richtlinie 2001/18 nicht vorgesehen.
Die Verbände weisen darauf hin, dass gerade mit Hilfe der neuen Verfahren auch solche Pflanzen erzeugt werden, die sich von natürlich entstandenen oder durch klassische Kreuzung gezüchteten Sorten nicht unterscheiden. Die jetzige Rechtsprechung des EuGH stellt die Agrar- und Ernährungswirtschaft vor erhebliche Probleme, heißt es in der Erklärung weiter. Bereits 2017 hatten die Fachbehörden des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) darauf hingewiesen, dass durch neue Züchtungsmethoden erzeugte Mutationen nicht von natürlich auftretenden zu unterscheiden sind.
Unüberwindbare Hindernisse bei der Lebens- und Futtermittelüberwachung
Unklar ist vor diesem Hintergrund, wie die Zulassungsvoraussetzung, ein eindeutiges Nachweis- und Identifizierungsverfahren für den jeweiligen GVO bereitzustellen, erfüllt werden kann. Dies stellt den internationalen Handel von Agrarprodukten aber auch die Behörden wie z.B. die der Lebens- und Futtermittelüberwachung vor heute nahezu unüberwindbare Hindernisse bei der Überwachung, Kontrolle bzw. Rückverfolgbarkeit entsprechender Produkte. Die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft ist eng in internationale Warenströme eingebunden. In Ländern außerhalb der EU finden neue Züchtungsmethoden bereits Anwendung, werden dort jedoch nicht der Gentechnik zugeordnet und damit hergestellte Produkte entsprechend nicht gekennzeichnet. Eine rechtssichere Einfuhr von Agrarerzeugnissen ist damit gegenwärtig ausgeschlossen.
Darüber hinaus führen die Anforderungen an die Zulassung von GVO in der EU und die hohen Kosten des Zulassungsverfahrens in der Konsequenz dazu, dass die Agrarbranche in Deutschland vom wissenschaftlichen Fortschritt durch die Anwendung der neuen Züchtungsmethoden ausgeschlossen wird. Das führt zu einem Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu Regionen mit innovationsfreundlicheren gesetzlichen Rahmenbedingungen. Eine schwerwiegende Konsequenz für den Fortschritt in der Züchtung ist, dass die Nutzung von genetischem Material auch für die klassische Kreuzungszüchtung stark eingeschränkt wird.
Potential neuer Züchtungsmethoden für zuverlässige Lebensmittelversorgung nutzen
Für wertvolle Kreuzungspartner aus Regionen außerhalb der EU kann eine GVO-Freiheit in Bezug auf den Einsatz neuer Methoden nicht sichergestellt werden. Auf eine Verwendung genetischer Ressourcen aus diesen Regionen muss damit möglicherweise verzichtet werden. Die Verbände erklären, dass sie bestrebt sind, zusammen mit den Entscheidungsträgern aus Politik und Administration und der Öffentlichkeit an einer Verbesserung der gegenwärtigen Situation zu arbeiten. Sie setzten sich hierbei für die Berücksichtigung wissenschaftsbasierter Kriterien zur Beurteilung von Pflanzen und Produkten ein, die mit Hilfe der neuen Züchtungsmethoden entwickelt werden. Nur so kann sich aus ihrer Sicht das enorme Potenzial der neuen Methoden zugunsten der Verbraucher und der Umwelt sowie einer zuverlässigen Lebensmittelversorgung in Deutschland vollständig entfalten.
Das EuGH-Urteil sei daher in der Praxis für Pflanzen und Produkte aus neuen Züchtungsmethoden nicht umsetzbar, erklärten die Verbände. Pflanzen, die sich nicht von klassisch gezüchteten unterscheiden, dürfen nicht als GVO reguliert werden. Daher halten die Verbände es für notwendig, das europäische Gentechnikrecht in der Form anzupassen, dass es sich an wissenschaftlichen Grundsätzen orientiert und neuesten Entwicklungen in der Pflanzenzüchtung Rechnung getragen wird.