Diskussionsforum „Sondersitzung Agrar“

15.11.2019

Mitglieder des Bundestages ziehen Halbzeitbilanz zur Agrarpolitik

Am 14. November 2019 diskutierten auf Einladung der Genuis GmbH im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Sondersitzung Agrar“ Vertreter von fünf Bundestagsfraktionen über ihre Halbzeitbilanz zur Agrarpolitik der aktuellen Legislaturperiode. Beteiligt waren Albert Stegemann (MdB, CDU/CSU), Nicole Bauer (FDP), Rainer Spiering (MdB, SPD), Friedrich Ostendorff (Bündnis 90/Die Grünen) und Dr. Kirsten Tackmann (MdB, Die LINKE).

Prof. Grehte: „Gesamte Landwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit“

In einem Impuls-Vortrag kommentierte Prof. Harald Grethe, von der Humboldt-Universität zu Berlin, zum Auftakt den Umsetzungsstand des Koalitionsvertrages bezüglich der darin für die Ökologische Landwirtschaft und Eiweißstrategie, die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP), die Wald- und Forstwirtschaft, den Tierschutz, das Tierwohllabel und die Nutztierhaltung sowie die Ackerbaustrategie und den Insektenschutz vereinbarten Ziele. Dabei kam er zu dem Schluss, die für den Eiweißpflanzenanbau formulierten Ziele seien sehr weich. Auch müsse die gesamte Landwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit entwickelt werden, anstatt Strategien für Teilbereiche zu entwickeln.

Hinsichtlich der GAP verwies Grehte darauf, dass die Wissenschaft bereits seit längerem eine Abschaffung der ersten Säule fordert, um die Mittel zielorientierter für die aktuellen Herausforderungen beispielsweise bei Tierwohl oder Biodiversität verwenden zu können. Beim Thema Tierwohl kritisierte er, es fehlten langfristige Zielbilder und eine Finanzierungsstrategie. Mit Blick auf die Ackerbaustrategie der Bundesregierung – die derzeit noch immer nicht vorliegt – und das im Rahmen des Agrarpaketes vereinbarte Insektenschutzprogramm, legte Prof. Grethe dar, dass die Wissenschaft ein generelles Glyphosatverbot nicht als zielführend ansehe. Aus seiner Sicht können ein nach Gebietskulissen differenzierter Pflanzenschutzmitteleinsatz durchaus Sinn machen. Eine teilweise Einschränkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes sei jedoch – unter anderem auch hinsichtlich des Umgangs mit Eigentumsrechten – gut abzuwägen.

Konventionelle und ökologische Landwirtschaft nicht gegeneinander ausspielen

In der anschließenden Diskussion stimmten alle Bundestagsabgeordneten darin überein, dass hinsichtlich der ökologischen Landwirtschaft und der Eiweißstrategie, die konventionelle und die ökologische Landwirtschaft nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Albert Stegemann vertrat in diesem Zusammenhang die Position, dass der ökologische Landbau als Innovationsmotor für die konventionelle Landwirtschaft wirke, die konventionelle Landwirtschaft jedoch ressourceneffizienter sei. Beide Bewirtschaftungsformen müssten sich aufeinander zu bewegen. Nicole Bauer wies mit Blick auf die Eiweißpflanzenstrategie darauf hin, dass Deutschland nicht umhin komme, sich bei der Eiweißversorgung international aufzustellen. Im Sinne des Ressourcenschutzes sollten die einzelnen Produkte global gesehen in den Regionen angebaut werden, in denen die Anbaubedingungen jeweils optimal sind und die Erzeugung konkurrenzfähig sei.

Beim Thema Gemeinsame Europäische Agrarpolitik (GAP) war unter anderem die Umschichtung von der ersten in die zweite Säule ein wesentlicher Diskussionspunkt. Rainer Spiering verteidigte die Umschichtung damit, dass die Mittel so zielgerichteter für gemeinwohlorientierte Leistungen eingesetzt werden können. Ein solcher zielgerichteter Einsatz würde sich aus seiner Sicht zudem positiv auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Landwirtschaft auswirken. Er kritisierte in diesem Zusammenhang, dass die GAP aktuell seiner Meinung nach eine Eigentumsbelohnung darstelle. Dem widersprach Albert Stegemann mit der Begründung, dass die GAP-Zahlungen an bestimmte Voraussetzungen geknüpft sind und somit eine Ausgleichszahlung für die hohen Sozial- und Umweltstandards seien. Vor diesem Hintergrund setzte er sich für eine starke erste Säule ein. Dr. Tackmann argumentierte in diesem Zusammenhang, dass die Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft allgemeinverbindlich werden sollten und dann über die erste Säule abgedeckt werden könnten.

Nationale Ackerbaustrategien in globalen Kontext setzen

Hinsichtlich Tierschutz, Tierwohllabel und Nutztierhaltung vertrat Friedrich Ostendorff die Position, dass die Tierhaltung wie sie heute stattfinde nicht haltbar sei. Daher sei seiner Meinung nach der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Fleisch nicht nachvollziehbar. Albert Stegemann forderte kurz-, mittel- und langfristige Strategien für die Tierhaltung und das Tierwohl. Kurzfristig sei eine Lösung der Zielkonflikte erforderlich, wie bspw. die Genehmigungspraxis der Behörden für Stallumbauten, die für mehr Tierwohl sorgen sollen. Mittelfristig könne das Tierwohl-Label Verbraucher dazu animieren ihren Beitrag für Verbesserungen bei der Tierhaltung zu leisten. Langfristig gesehen müsste zunächst die Finanzierungsfrage geklärt werden, bevor ein kompletter Umbau der Nutztierhaltung umgesetzt werden könne. Mit Blick auf die Finanzierung vertrat Dr. Tackmann die Position, dass eine Mehrwertsteuer-Erhöhung auf Fleisch unsozial sei, da diese Haushalte mit geringen Einkommen besonders stark belaste.

Zur Ackerbaustrategie und zum Insektenschutz forderte Nicole Bauer, dass bei der Diskussion auch die globalen Zusammenhänge mit betrachtet werden müssten. Weitere nationale Alleingänge lehnte sie mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft ab. Sie vertrat zudem die Position, dass die Landwirtschaft auch in Zukunft nicht vollständig auf Pflanzenschutzmittel verzichten könne.

BVA: Agrarpolitik fehlt verlässlicher Rahmen

Aus Sicht des BVA machte die Diskussion einmal mehr deutlich, dass die Vorstellungen über die zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik zum Teil weit auseinander gehen. Dies ist insofern fatal, als damit der Branche ein verlässlicher Rahmen für die zukunftsfähige Ausrichtung der Unternehmen fehlt. Um die gesellschaftlichen Forderungen erfolgreich mit unternehmerischem Handeln vereinen zu können, benötigt sowohl die Landwirtschaft als auch der ihr vor- und nachgelagerte Bereich endlich politische Entscheidungen, die praktikable Wege in die Zukunft aufweisen langfristig Bestand haben.