Agrarhandelstag
Klare Leitplanken und Verlässlichkeit in der Agrarpolitik gefordert
Unter dem Eindruck der großen Berliner Bauern-Demo am Vortag, diskutierten auf dem ersten Agrarhandelstag in Warberg am 27. und 28. November u. a. Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Landwirtschaft mit den 110 Teilnehmerinnen und Teilnehmern über die Frage, welche Agrarpolitik für eine nachhaltige und gesellschaftlich akzeptierte Agrarwirtschaft in Deutschland erforderlich sei.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Hermann Onko Aeikens, räumte in seinem Impulsstatement zunächst mit verschiedenen Vorwürfen auf, die seitens einiger Vertreter der Landwirtschaft zuletzt gegen das Ministerium geäußert wurden. Das Ministerium habe sowohl bei dem Agrarpaket, bei dem Insektenschutzprogramm als auch bei den Fragen zur Umschichtung der GAP-Mittel in die zweite Säule immer die Interessen und Möglichkeiten der Landwirte im Blick gehabt. Er betonte in diesem Zusammenhang den Anspruch des Ministeriums politische Entscheidungen auf Basis von Fakten zu treffen.
Aikens betont Schnelligkeit vieler Entwicklungen
Im Gegenzug erwarte er jedoch auch von den Landwirten und deren Vertretern, dass diese bei ihren öffentlichen Äußerungen ebenfalls bei den Fakten bleiben. Dr. Aeikens zeigte Verständnis dafür, dass die Landwirtschaft und auch der ihr vor- und nachgelagerte Bereich Planungssicherheit und ein klares Zielbild wünsche, an dem sich die Betriebe bei ihren unternehmerischen Entscheidungen orientieren können. Aufgrund der Schnelligkeit vieler Entwicklungen komme man jedoch nicht umhin ein Stück weit „auf Sicht“ zu fahren. Ideal wäre es, wenn sich alle Parteien darauf verständigen könnten, dass für einmal getätigte Investition für eine bestimmte Zeit – auch über das Ende einer Legislaturperiode hinweg – Bestandsschutz bestünde.
Prof. Dr. Harald Grethe, Leiter des Fachgebietes Internationaler Agrarhandel und Entwicklung an der Humboldt-Universität zu Berlin, sprach sich in der Diskussion für einen Gesellschaftsvertrag zur zukünftigen Gestaltung der Landwirtschaft aus. Damit die Landwirte die gesellschaftlichen Wünsche hinsichtlich der Erbringung von mehr Gemeinwohlleistungen umsetzen könnten, sollte nach Ansicht von Prof. Grethe die Agrarfinanzierung über die nächsten zwei bis drei Finanzierungsperioden so umstrukturiert werden, dass nur noch Mittel für Maßnahmen des Boden-, Wasser- und Biodiversitätsschutzes sowie für eine Steigerung des Tierwohls in der Nutztierhaltung verwendet werden. Reine Flächenprämien sollten perspektivisch abgeschafft werden. Er führte zudem aus, dass es zu kurz greife, Maßnahmen lediglich auf der Angebotsseite, d. h. in der Landwirtschaft umzusetzen. Damit es nicht zu Verlagerungseffekten komme, müsse sich auch die Nachfrage der Verbraucher ändern. Die aus seiner Sicht notwendige Veränderung des Ernährungsverhaltens könnte beispielsweise durch eine Erhöhung der Preise für tierische Produkte erreicht werden.
Dr. Christine Chemnitz: „Braucht ambitionierte Agrarpolitik“
Die Referentin für Internationale Politik bei der Heinrich-Böll-Stiftung e. V., Dr. Christine Chemnitz, betonte, dass es sich die Vertreter der Zivilgesellschaft nicht leicht machten bei ihrer Positionsfindung und der Erarbeitung ihrer Forderungen an die Landwirtschaft. Es sei ein großes Anliegen der zivilgesellschaftlichen Organisationen den ökologischen Wandel gemeinsam mit der Landwirtschaft zu gestalten und diesen Berufszweig in Deutschland zu erhalten. Sie kritisierte, dass die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte im Wesentlichen aus einem Bewahren bestand. Das Fehlen eines agrarpolitischen Gestaltens sei letztendlich der Grund sowohl für die Demonstrationen der Landwirte als auch für die großen Klimaproteste von „Fridays for Future“ und Co. Sie sprach sich vor diesem Hintergrund für eine ambitionierte Agrarpolitik aus, die den Landwirten den bestehenden Veränderungsbedarf klar macht, diese gleichzeitig in dem Veränderungsprozess mitnimmt und sie unterstützt. Die Vertreter des Berufsstandes forderte sie auf, an Gesellschaft und Politik das Signal zu senden, dass sie den Wandel selbst gestalten möchten. Alles andere würde dazu führen, dass die Landwirtschaft von anderen gestaltet werde.
Agrarhandel ist bereits mitten im Anpassungsprozess
Philipp Schulze Esking, Vizepräsident der DLG und Vorsitzender des Fachzentrums Landwirtschaft, vermittelte, dass sich die Landwirtschaft aufgrund der gesellschaftlichen Forderungen durchaus selbstkritisch hinterfragt. Er betonte jedoch auch, dass die Betriebe unter großem Wettbewerbsdruck stehen und die Landwirtschaft, wie alle anderen Wirtschaftsbereiche auch, ihr betriebswirtschaftliches Agieren auf Basis der Nachfrage und dem Streben nach Gewinnmaximierung ausrichten. Daher müssten sich Gesellschaft und Politik darüber Gedanken machen, wie die Landwirtschaft für die Erbringung von Gemeinwohlleistungen entlohnt werden kann. Diese Entlohnung müsse so ausgestaltet sein, dass die Landwirte auf den offenen Märkten bestehen können.
Auch im Rahmen der beiden weiteren Diskussionsrunden „Ökologisierung oder Intensivierung – welche Anpassungsstrategien versprechen Erfolg?“ und „Agrarmärkte zur Mitte des Wirtschaftsjahres“ wurde deutlich, dass sich die Branche des Agrarhandels bereits in einem gewaltigen Anpassungsprozess befindet, der in Zukunft weiter an Fahrt aufnehmen wird. Dabei sollte die Branche besser agieren und gestalten als reagieren und von anderen gestaltet zu werden. Hieran zu arbeiten sei eine wichtige Aufgabe der Branchenvertreter. Ob die Lösung selbiger ein Gesellschaftsvertrag ist, bleibt offen und umstritten. Einig sind sich jedoch alle, dass es ohne Planbarkeit bei Investitionen in die Zukunft nicht geht.